Rede zur Zürich Pride

Redebeitrag von Maëlle Meli an der Zürich Pride vom 17. Juni 2023

Liebe queere Familie, Schwestern, Brüder und Geschwister, Partner*innen, liebe Eltern, Grosseltern und Kinder, liebe Intergeschlechtliche, Trans, Enbies, Homos, Lesben, Allos, Aros und Aces, liebe Emanzen, Butches, Drags, Dykes und Divas, Fems, Tomboys und riot grrrls, liebe Genoss*innen und Verbündete, liebe Zürich Pride und alle Anwesenden,

Vor mehr als 50 Jahren nahmen sich grosse Vorreiter*innen unserer Gemeinschaft die Strasse, um gegen Diskriminierung, Unterdrückung und Polizeigewalt anzukämpfen. Allen voran waren es trans People of Color und Lesben der Schwarzen Community, Menschen wie Marsha P. Johnson, Sylvia Rivera, Miss Major Griffin-Garcy und Stormé DeLarverie, die sich gegen die herrschende weisse, cis-heteronormative Gesellschaft auflehnten, um uns die Rechte zu erkämpfen, die uns zustehen. Unsere Menschenrechte. Die meisten dieser Menschen sind heute nicht mehr unter uns, um uns daran zu erinnern, wofür und gegen was wir eigentlich kämpfen müssen. Doch wissen wir es auch aus eigener Erfahrung:

Gegen das Patriarchat, den Kapitalismus, gegen Rassismus, Klassismus und Behindertenfeindlichkeit. Ein Kampf gegen Ausgrenzung, Gewalt und Diskriminierung, den wir auch innerhalb unserer eigenen Communities führen und wir uns auch selbst in die Verantwortung nehmen müssen.

Wir zelebrieren die damaligen Stonewall-Riots mit Prides fast auf der ganzen Welt, wie auch heute hier an der Zürich Pride. Hier haben wir heute die Möglichkeit, stolz und sichtbar uns selbst zu sein, zu tanzen und zu feiern. Wir sind dankbar, dass die Zürich Pride dies ermöglicht. Doch der Weg dahin war und ist und bleibt steinig:

Am ersten CSD in Zürich 1978 waren wir als trans Community noch nicht mitgedacht. Das Ziel damals war die Abschaffung des Homosexuellenregisters. Dank dem unermüdlichen und erfolgreichen Kampf ihrer Vorreiter*innen konnten Schwule, Lesben und Bisexuelle bereits sich selbst feiern, als wir trans Menschen auch an der Pride noch um Basics wie gender-neutrale Toiletten kämpften. Während das Musikprogramm mehr und mehr Gross-Festival-Charakter annahm, blieb selten Platz auf der Bühne für eine trans Person, geschweige denn eine nicht-binäre Person. Während die Pride immer prominenteres Sponsoring durch Konzerne genoss, die auch heute wieder an zahlreichen Ständen ihre Produkte bewerben dürfen, müssen queere Organisationen mehr und mehr weichen. Organisationen, welche nicht nur an einem einzigen Fest, sondern das ganze Jahr über unverzichtbare Arbeit mit Aufklärung, Beratung und Aktivismus für mehr Sichtbarkeit, Akzeptanz, gegen Diskriminierung und Stigmatisierung für ihre Communities leisten.

Im Jahr 2022 widmete sich die Zürich Pride erstmals der trans Community mit dem Motto „trans – Vielfalt leben“ und leistete einen Beitrag, damit wir uns als Teil dieser Familie fühlen konnten. Mit den Beiträgen von Mia Willener, Tessa Gansener und Brix Schaumburg konnten wir lernen, was es bedeutet, trans zu sein, mit den Geschichten von Davide Milano, Shanon Tobler oder Domenica Priore durften wir Anteil an ihren Lebensrealitäten nehmen. Doch damit ist das Pride-Motto also gerade mal beim T von LGBTQIA+ angekommen. Und was ist seither geschehen?

Gemäss dem diesjährigen Hate Crime Bericht wurden im Jahr 2022 rund 134 Übergriffe an LGBTQ-Personen gemeldet, also damit doppelt so viele wie im Vorjahr! Mit einer riesigen Dunkelziffer notabene, da die meisten Fälle nicht gemeldet werden, weil sich Personen aus Angst vor Repression nicht trauen. Weil der Gedanke nahe liegt, dass es gar nichts bringt oder weil sie schlicht viel zu oft Feindlichkeit erleben, dass es schon fast “normal” wäre. Von diesen 134 Übergriffen richteten sich knapp ein Drittel gegen trans Personen, ein Grossteil davon gegen eine nicht-binäre Person. Und bei einem nicht unwesentlichen Teil war nebst einem bestimmten Geschlechtsausdruck auch Rassismus der Auslöser.

Der Hass auf der Strasse nimmt stetig zu, und zeitgleich geht die politische Rechte mit Transfeindlichkeit auf Stimmenfang. Sie zelebriert ihren nationalistischen #StolzMonat gegen den von ihnen erfundenen Gender-Wahn und gegen gendergerechte Sprache. Hetzt auf Twitter gegen Schulen und deren demokratisch legitimierte Aufklärung, porträtiert uns als Gefahr für unsere Kinder oder probiert durch amtliche Schlaumeiereien wie durch den Missbrauch zur Möglichkeit der vereinfachten Geschlechtseintragsänderung unsere erkämpften Rechte zu delegitimieren.

Währenddessen kämpfen trans Menschen noch immer einfach um Anerkennung, allen voran nicht-binäre Personen. Jüngst am Donnerstag, dem 8. Juni wurde durch das Bundesgericht in Lausanne entschieden, dass eine in einem anderen Land amtliche Streichung des Geschlechtseintrages hierzulande nicht anerkannt werden kann, da dafür die gesetzlichen Grundlagen fehlen würden. Ein schmerzhafter Entscheid, aber auch ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl an den Gesetzgeber, bei dem wir jetzt sicher nicht so lange warten wollen wie damals auf das Frauenstimmrecht! Dafür, und gegen die Hetze müssen wir uns einsetzen, besonders im kommenden Wahlkampf im Herbst.

Das Motto der diesjährigen Pride ist «lass uns darüber reden». Liebe Zürich Pride, also lasst uns reden. Darüber, wie es trans Menschen noch immer an Sichtbarkeit und Gleichstellung fehlt. Lasst uns darüber reden, dass wir noch immer täglich Hass und Diskriminierung ausgesetzt sind. Dass auch innerhalb der LGBTQIA+ Community Fetischisierung, Rassismus, Transfeindlichkeit, Ableismus, Bodyshaming, etc. Realität sind. Darüber, dass wir stetig mit einem System zu kämpfen haben, dass uns und viele weitere Identitäten strukturell benachteiligt und unsichtbar macht. Und dessen Vertreter dabei eure Hauptsponsoren sind, die nachweislich auch Politiker finanziell unterstützen, die unsere Rechte wie auch die anderer queerer Menschen weiter beschneiden wollen.

Wo sind die grossen Firmen, wenn geflüchtete Queers eine Stelle suchen? Was bedeutet ein m/w/d in Stellenanzeigen, wenn trans Personen dann am Arbeitsplatz doch nicht erwünscht sind, schikaniert werden und ein Viertel der Personen nach einem Coming-out den Job verlieren? Was nützt ein bunter Stand der Unternehmen hier, wenn unter trans Personen eine Arbeitslosigkeit von 20% herrscht? Und was könnte nur das Geld, das ein einziges Grossplakat oder der Pride-Auftritt eines Unternehmens kostet, für eine von Sozialhilfe lebende trans Person bewirken?

Lasst uns auch über die Ungerechtigkeit reden, dass die marginalisiertesten Geschwister in unserer Community am wenigsten Ressourcen haben für ihre Arbeit und die privilegiertesten am meisten. Lasst uns darüber reden, dass die Pride an die erinnern soll, die sich mit ihrem eigenen Leben dafür eingesetzt haben, dass wir alle heute hier sein und für uns einstehen können. Lasst uns darüber reden, wie die Pride für die Sichtbarkeit aller sein kann, die unserer grossen Familie angehören. Und redet nicht einfach an der Stelle von benachteiligteren Communities. Eignet euch deren Themen nicht an. Wir brauchen nicht eure Bestätigung, um uns feiern zu dürfen. Was wir brauchen, ist eure Unterstützung. Wenn ihr Ressourcen habt, dann teilt diese besser solidarisch, selbstlos und bedingungslos.

Wir danken allen, die heute hier sind, um zu zeigen, dass wir existieren. Und denken an jene, denen die Möglichkeit nicht gegeben ist und die dennoch einfach sie selbst sind. Ich wünsche euch eine starke, kraftbringende Pride.