«Keine Ruhe geben»

Portrait der Autorin Sibel Schick
Credit: Valerie-Siba Rousparast

Immer wieder verbreiten gerade die grossen Schweizer Medienplattformen transfeindliche, verleumderische und unbelegte Darstellungen. In der vergangenen Woche trafen gerade zwei happige Beiträge kurz hintereinander ein. Während der Tages-Anzeiger trans Männern internalisierten Frauenhass unterstellte, holte die NZZ mit einem Plädoyer für die transfeindlichen Bewegungen in Großbritannien gegen trans Kinder aus.

Zu unserer grossen Freude erhielten wir in dieser Sache prominente Schützenhilfe!

Die freie Journalistin, Autorin und Aktivistin Sibel Schick ergriff direkte Schritte gegen den Beitrag der NZZ und teilt mit uns hier ihre Ratschläge zu gelebter Solidarität.

Transfeindliche Artikel sind leider in den Medien auch heute an der Tagesordnung. Neben harmloseren uninformierten oder veralteten Darstellungen, geben Schweizer Medienhäuser häufig auch aktiv transfeindlichen, verleumderischen und aufwiegelnden Stimmen Raum. 

Daher sind wir darauf angewiesen, dass sich ausser uns auch andere am Widerstand beteiligen. Viele haben aber Hemmungen oder sogar Angst, sich zu Wort zu melden, oder wissen nicht, an wen sie sich wenden müssen. 

Dem möchten wir entgegenwirken. 

Als Verein von und für trans Menschen ist es unsere Aufgabe, für die trans Community einzustehen. Allerdings reicht unser Einsatz nicht aus. Redaktionen, Ombudsstellen und Medienschaffende legen häufig sogar weniger Wert auf einzelne Rückmeldungen von sogenannten Betroffenenverbänden als auf ein breiteres gesellschaftliches Echo von solidarischen Personen.

Umso grösser die Freude, als wir überraschend Unterstützung und Schützenhilfe von prominenter Seite erhielten.

Sibel Schick, bekannt im deutschsprachigen Raum für ihr Schreiben über Sexismus, Rassismus, Politik und vieles mehr, bezog auf ihrem Twitter Account dezidiert Stellung gegen die NZZ. Schick teilte offen ihr eigenes Vorgehen in dieser Sache; das Einreichen einer Anzeige wegen Volksverhetzung bei einer deutschen Behörde sowie das Melden des Beitrags beim deutschen und Schweizer Presserat. Im Gespräch mit uns erklärt sie ihre weitere Grundhaltung zu solchen Konflikten.

TGNS: Sibel Schick, vielen Dank für Ihre aktive Solidarität und die grosszügige Bereitschaft für dieses Gespräch. Zunächst einmal die Frage: Wie entscheiden Sie, ob ein Beitrag/ ein Post/eine Provokation eine Beanstandung wert ist oder ob Ignorieren sinnvoller wäre?

Schick: Ich finde es tatsächlich wichtig zu unterscheiden: Ist eine Reaktion sinnvoll oder schenke ich einer Person, die für bisschen mehr Bekanntheit einen Shitstorm gegen sich auslösen möchte und dafür in Kauf nimmt, dass marginalisierte Minderheiten noch mehr Gewalt und Rechtsverletzungen ausgesetzt werden, Aufmerksamkeit? Dieser Unterschied ist nicht immer leicht. Ich frage mich: Verfügt die Person über die notwendigen Ressourcen, um wirklich eine Gefahr auszulösen? Ist das eine Person mit einer großen Plattform? Je größer die Plattform, desto gefährlicher ist die Person nämlich. Und dann gibt es Publizist:innen, die kaum jemand kennt, die um sich schießen, sobald sie ihre eigene Irrelevanz wahrnehmen. Die ignoriere ich, alles andere wäre nämlich eine Belohnung.

TGNS: Wie findet man den Mut, sich auch für Themen einzusetzen, die einen nicht direkt betreffen?

Schick: Ich finde, dass man für politischen Einsatz nicht zwingend Mut braucht. Mut hat man nämlich unter Umständen nicht. Daher sollte er meiner Meinung nach nicht der Anspruch oder die Voraussetzung sein, um zu handeln. Sonst könnte man ein ganzes Leben lang warten, ohne etwas gegen diskriminierende Machtverhältnisse zu unternehmen. Man sollte sich, soweit es möglich ist, trotz der Angst einsetzen. Wenn man als marginalisierte Person mit weniger Ressourcen gegen toxische Rechte kämpft, ist die Angst nämlich unvermeidbar und völlig gerechtfertigt. Wenn man aus der Mehrheitsgesellschaft stammt, in keiner Form marginalisiert wird und über die notwendigen Ressourcen verfügt, sollte man nicht zweimal überlegen und einfach solidarisch handeln.

TGNS: Woher nehmen Sie Zeit und Energie dafür?

Schick: Das ist natürlich unter Umständen ein Problem. Ich engagiere mich in meiner Freizeit neben meiner Vollzeitbeschäftigung. Das kann manchmal sehr anstrengend sein, aber es gibt Tools, die helfen. Diese sind für jeden einzelnen Menschen unterschiedlich. Ich versuche so oft Spaziergänge zu machen wie möglich, das Handy abends wegzulegen und etwas schönes im TV bzw. bei Streamingdiensten zu schauen, um abzuschalten; versuche mich gezielt zu entspannen. Entspannung muss man üben und lernen. Und am Ende ist es die Anstrengung wert, hier geht es nämlich um etwas.

TGNS: Was muss man beim Verfassen solcher Beschwerden unbedingt beachten?

Schick: Am wichtigsten ist glaube ich, dass das Problem für Menschen, die weder betroffen sind noch sich mit dem Thema auseinandersetzen, verständlich erklärt wird. Wenn ich beispielsweise beim Presserat eine Beschwerde einreiche, nachdem ein rassistischer oder transfeindlicher Text erschienen ist, muss ich davon ausgehen, dass sich mein Gegenüber mit diesen Diskriminierungsmechanismen nicht auskennt, und muss genau und verständlich begründen, weswegen der Artikel rassistisch oder transfeindlich ist. Und wenn der Artikel falsche Tatsachenbehauptungen beinhaltet, müssen diese mit Quellen richtiggestellt werden.

TGNS: Bringt das Beschweren überhaupt was?

Schick: Definitiv! Wenn es sich um manipulierte Fakten, verzerrte Zahlen, Diffamierungen und gar Hetze handelt, ist es sehr wichtig, dass Autor:innen, die so etwas veröffentlichen, konfrontiert werden und dadurch lernen, dass es durchaus kritische Reaktionen und unter Umständen sogar juristische und anderweitige Folgen geben kann. Und selbst wenn am Ende, also kurzfristig gedacht, nichts dabei rauskommt, zeigen sich die Beschwerden oft in den Statistiken wieder und langfristig ist das wichtig. Daraus kann man nämlich Gesetze fordern und Druck ausüben. Sich zu beschweren ist in meiner Wahrnehmung ein Teil des Widerstandes: Keine Ruhe geben, unangenehm sein.

TGNS: Was kann man noch tun, um zu helfen und sich nicht nur am Schlechten abzuarbeiten?

Schick: Es gibt viele wertvolle Stimmen, die man unterstützen kann. Menschen und Gruppen, die weniger sicht- und hörbar sind, können wir eine Plattform geben und sie sichtbarer machen. Wir müssen Menschen, die mehr Aufmerksamkeit verdienen, diese Aufmerksamkeit schenken, indem wir ihre Inhalte pushen

TGNS: Vielen Dank für dieses Gespräch und Ihre Perspektive!

Ressourcen

Anleitung zum Einreichen einer Presseratbeschwerde

Auch „kleinere“ Beschwerden und Korrekturwünsche sind wertvoll!

Bei kleineren Schnitzern und falschen Ausdrücken reicht häufig eine E-Mail an die Redaktion der jeweiligen Plattform. Gerne könnt ihr dabei auch auf unseren Medienguide verweisen.

Danke für eure Unterstützung!