Heute hat der Bundesrat den Entwurf eines neuen Artikels im Zivilgesetzbuch verabschiedet. Dadurch sollen trans Menschen und Menschen mit Variationen der Geschlechtsentwicklung künftig in einem einfacheren Verfahren ihren amtlichen Geschlechtseintrag ändern können. Für trans und intergeschlechtliche Kinder verschlechtert sich dabei aber die Rechtslage. Transgender Network Switzerland (TGNS) und InterAction – Association Suisse pour les Intersexes ermutigen das Parlament, die notwendigen Verbesserungen vorzunehmen.
Neu sollen der Geschlechtseintrag und der Name in einem gesetzlich geregelten, raschen und kostengünstigen Verwaltungsverfahren geändert werden können. Dies ohne Einbezug von Dritten, insbesondere ohne dass medizinische Nachweise über die Geschlechtsidentität verlangt werden dürfen. Dadurch sollen die teils lange dauernden, belastenden und vor allem mehrere hundert Franken teuren Gerichtsverfahren abgelöst werden. Während dieser Schritt deutlich zu begrüssen ist, ist umso mehr zu bedauern, dass er nur urteilsfähigen Erwachsenen ohne Beiständ_in zu Gute käme. Dies wurde von intergeschlechtlichen und trans Organisationen bereits anlässlich der Vernehmlassung zum Vorentwurf Gesetzgebungsprojekt vom Mai 2018 deutlich kritisiert. Der heute dem Parlament übergebene Gesetzesentwurf trägt dieser und weiterer Kritik klar zu wenig Rechnung.
In der heutigen Gerichtspraxis stellen urteilsfähige Minderjährige das Gesuch um Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität selbst. So entschied ein Bezirksgericht dieses Jahr, dass die 9-jährige Gesuchstellerin in Bezug auf die Änderung ihres Geschlechtseintrages und Vornamens urteilsfähig sei und sie dafür keine elterliche Zustimmung braucht. Mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen Regelung bräuchte sie künftig diese Zustimmung. Hat sie das Pech, dass ihre Eltern zerstritten sind und deshalb ein Elternteil ihr die Zustimmung verweigert, so müsste sie in Zukunft dagegen vor Gericht gehen. Oder ihre ganze Kindheit und Jugend, bis sie volljährig ist, mit einem Jungennamen und dem Eintrag «männlich» in allen Dokumenten leben.
«Dass der Bundesrat gerade Kindern, die besonderen Schutz bräuchten, Rechte wegnehmen will, schockiert uns als Organisation von Menschen mit Variationen der Geschlechtsentwicklung besonders», sagt Audrey Aegerter, die Präsidentin von InterAction Suisse. «Wir hoffen, dass das Parlament diesen Fehler korrigiert. Und dass sich Bundesrat und Parlament nun zeitnah mit der für Menschen mit Variationen der Geschlechtsentwicklung dringendsten Forderung beschäftigen, einem strafrechtlichen Verbot von Verstümmelungen an Kindern mit Variationen der Geschlechtsentwicklung.»
«Dass die Schweiz endlich auch ein auf Selbstbestimmung basierendes Verfahren erhalten soll, ist ein richtiger Schritt. Denn für die Menschen, deren Geschlechtseintrag nicht mit ihrer Lebensrealität übereinstimmt, hängt davon ihr ganzes Alltagsleben, ihre soziale und berufliche Teilnahme an der Gesellschaft ab», ergänzt Alecs Recher, der als Jurist bei TGNS bereits mehrere hundert Menschen durch die Verfahren begleitete. «Nun liegt es am Parlament, den Ball aufzunehmen und die Schweiz in die höchste Liga menschenrechtskonformer Verfahren zu bringen.»
Der Gesetzesentwurf wird nun vom Ständerat als Erstrat und danach vom Nationalrat als Zweitrat behandelt werden. InterAction Suisse und TGNS werden diesen Gesetzgebungsprozess gemeinsam begleiten und auch die vom Bundesrat für das Verordnungsrecht in Aussicht gestellten notwendigen Klärungen genau betrachten.