Der Bundesrat legt heute einen Vorentwurf zur leichteren Personenstandsänderung vor. Diese Idee begrüssen wir! Doch bevor diese Änderungen Wirklichkeit werden, geht ein langer parlamentarischer Prozess voraus, in dem wir viel Aufklärungsarbeit leisten müssen. Zuerst werden wir den Vorentwurf im Detail analysieren und dann selbstverständlich vor und hinter den Kulissen arbeiten, damit am Ende eine möglichst gute Regelung für alle trans Menschen herauskommt.
Während der kommenden Phase der Vernehmlassung können Vorschläge zur Verbesserung des Entwurfs eingereicht und überhaupt die Wichtigkeit des Gesetzes für trans Personen betont werden. Dass ordentlicher Verbesserungsbedarf an dem Entwurf besteht, ist leider klar. So schliesst der Vorentwurf nicht-binäre Menschen explizit weiter aus und für Minderjährige hält er sogar Verschlechterungen gegenüber heute bereit.
In dem politischen Prozess – der mehrere Jahre dauern wird – brauchen wir auch euch! Wir möchten die gesamte Trans-Community mit einbeziehen, denn ohne den Einsatz von vielen Mitstreiter_innen können wir die Herzen der Politiker_innen nicht gewinnen. Wir werden daher bald einen Aufruf starten und euch konkret um eure Mithilfe anfragen.
Hier die Medienmitteilung des Bundesrates.
Und hier der erläuternde Bericht zur Medienmitteilung des Bundesrates.
Dies ist unsere Medienmitteilung:
Trans Menschen sollen Geschlecht und Vornamen unbürokratisch ändern können
(Bern, 24. Mai 2018) Der Bundesrat legt heute einen Vorentwurf zur vereinfachten Personenstandsänderung von trans Menschen und Menschen mit einer Geschlechtsvariante vor. Transgender Network Switzerland (TGNS)1 begrüsst die grundlegenden Ziele der Vorlage, die es ermöglichen soll, den amtlichen Geschlechtseintrag und den Vornamen selbstbestimmt, das heisst ohne psychiatrische Gutachten und ohne medizinische Voraussetzungen ändern zu können, sieht aber auch klaren Verbesserungsbedarf.
Wenn trans Menschen den Geschlechtseintrag ihrer amtlichen Dokumente ändern lassen möchten, müssen sie heute dafür vor Gericht gehen. In der Regel genügt es, ein schriftliches Gesuch und ein Schreiben einer Psychiater_in vorzulegen, das die Transidentität bestätigt. Seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 20172 wird kein Nachweis der Unfruchtbarkeit oder anderer medizinischer Eingriffe mehr verlangt. Vor allem störend sind die von einigen Gerichten durchgeführten persönlichen Anhörungen und die Gerichtskosten im Rahmen von etwa 300 bis gut 1000 Franken, die für viele trans Menschen eine ernsthafte finanzielle Belastung darstellen. Mit der vom Bundesrat angestrebten Änderung des Zivilgesetzbuches soll künftig hingegen eine einfache Erklärung vor dem Zivilstandsamt ausreichen. Henry Hohmann, TGNS-Beauftragter für Politik, sagt dazu: «Die aktuelle Praxis stellt hohe Anforderungen für die Änderung des Geschlechtsantrags an trans Menschen, die viele nicht alleine meistern können.»
Die Änderung des amtlichen Geschlechts und des Namens ist für trans Menschen von grosser Alltagsrelevanz. Denn erst damit können sie Dokumente erhalten, die ihr Geschlecht korrekt wiederspiegeln und sie nicht konstant dazu zwingen, sich als trans zu erkennen zu geben. Solche Zwangsoutings sind nicht nur eine enorme psychische Belastung, sie erhöhen auch die Gefahr von Diskriminierung und Gewalt.
Grundsätzlich positive Stossrichtung
TGNS befürwortet die grundsätzliche Stossrichtung des jetzt veröffentlichten Vorentwurfes, dessen Erläuterungen an den Forderungen der Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates 2048 von 20153 und an den vorbildlichen Gesetzen von Ländern wie Malta (2015), Irland (2015), Norwegen (2016) oder Belgien (2018) anknüpfen. Dort genügt zur Personenstandänderung eine einfache Erklärung ohne weitere Voraussetzungen.
Nachbesserungsbedarf für echte Selbstbestimmung, Minderjährige und nicht-binäre Menschen
Der vom Bundesrat heute unterbreitete Vorentwurf entspricht in einigen Punkten den langjährigen Forderungen von trans Organisationen in der Schweiz, doch es besteht Nachbesserungsbedarf im nun begonnen politischen Prozess. Die drei offensichtlich kritischsten Punkte der Vorlage sind:
- Die als Ziel genannte einfache Erklärung basierend auf der Selbstbestimmung entspricht den menschenrechtlichen Standards, zu denen sich die Schweiz verpflichtet, und ist zu begrüssen. Jedoch verankert der Vorentwurf gerade nicht ein Verfahren, das auf Selbstbestimmung beruht. Die Zivilstandsbeamt_innen, so der Bundesrat, sollen den Spielraum erhalten, zusätzliche Abklärungen vorzunehmen und beispielsweise ärztliche Zeugnisse einzuverlangen, oder gar allein aufgrund von „Zweifeln“ Anträge zurückzuweisen. Dies widerspricht dem Gedanken der Selbstbestimmung zutiefst, wird dadurch doch der Willkür der persönlichen Anschauung der jeweiligen Beamt_in Tür und Tor geöffnet. TGNS empfiehlt daher unbedingt, sowohl ein tatsächlich auf Selbstbestimmung beruhendes Verfahren zu statuieren, sowie die für diese Verfahren zuständigen Beamt_innen zur Trans- und Inter-Thematik zu schulen, damit sie ihrer verantwortungsvollen Aufgabe gerecht werden können. Alecs Recher, Leiter Rechtsberatung, kommentiert: «Wirkliche Selbstbestimmung kann nicht von der persönlichen Einschätzung eine_r_s Zivilstandsbeamt_in abhängig gemacht werden.»
- Die eigentlichen Verlier_innen im Vorentwurf des Bundesrates sind die Minderjährigen. TGNS ist bestürzt, dass die Rechtsstellung gerade dieser besonders verletzlichen und durch die Kinderrechte besonders geschützten Gruppe gegenüber heute verschlechtert werden soll. Bislang stellen urteilsfähige Minderjährige den Antrag auf Änderung des amtlichen Geschlechts und Namens selbst. Für Urteilsunfähige kann die gesetzliche Vertretung die Änderungen beantragen. Diese Regelung hat sich bewährt, bringt in der Praxis keinerlei Probleme mit sich und gilt im internationalen Vergleich als besonders positives Beispiel. Nach dem Willen des Bundesrates dürften künftig urteilsfähige Minderjährige einen Antrag auf Geschlechtsänderung nur noch mit Zustimmung der gesetzlichen Vertretung stellen. Dies wäre ein deutlicher Rückschritt.
- Der Bundesrat schlägt explizit vor, bei einem rein binären System, der Begrenzung auf die zwei amtlichen Geschlechter „weiblich“ und „männlich“ zu bleiben. Für Menschen, die sich in diesen gängigen Geschlechterkategorien nicht wiederfinden – was etwa die Hälfte aller trans Menschen ist4 –, gäbe es damit weiterhin keine rechtliche Anerkennung. TGNS fordert daher, dass im Rahmen dieses Gesetzgebungsprozesses auch das Bedürfnis von Menschen mit einer nicht-binären Geschlechtsidentität, vor dem Staat zu existieren, einbezogen wird und dies nicht weiter auf die lange Bank geschoben wird.
Stefanie Hetjens, Präsidentin TGNS, fasst zusammen: «Bereits auf den ersten Blick sticht hervor, dass Nachbesserungsbedarf besteht: für eine tatsächliche Selbstbestimmung, bei dem zu schützenden Kindeswohl und der Öffnung auf mehr als zwei Geschlechter.»
Besonders positiv stechen hingegen die vorgeschlagenen Regelungen zum internationalen Privatrecht hervor. Insbesondere Auslandschweizer_innen werden davon profitieren können, wenn sie künftig die Änderung entweder im Wohnsitzstaat nach dortigem Recht oder in ihrem Schweizer Heimatkanton nach ZGB vornehmen können.
TGNS wird den Vorentwurf genauer analysieren und eine detaillierte Vernehmlassung publizieren und einreichen.
Weiterer Handlungsbedarf
Der Bundesrat will mit dem heute vorgestellten Vorentwurf die Änderung von Name und amtlichem Geschlecht einer gesetzlichen Regelung zuführen. Während diese Änderungen für viele trans Menschen wichtig sind, darf aber nicht vergessen gehen, dass verschiedene weitere Probleme bestehen, wie beispielsweise im Krankenversicherungsrecht. TGNS erwartet vom Bundesrat, dass er sich der zahlreichen weiteren Schwierigkeiten, mit denen trans Menschen konfrontiert werden, zeitnah annimmt.
Erläuterungen:
- Transgender Network Switzerland (TGNS) ist die Schweizer Organisation von und für trans Menschen und ihre Freund_innen. Auf der Website tgns.ch finden Sie weiterführende Informationen rund um das Thema Trans (insbesondere unter „Informationen“) sowie einen Guide für Medienschaffende, um Fettnäpfchen gekonnt auszuweichen.
- Die Referenz dieses Entscheides lautet: A.P., Garçon et Nicot c. France, nos 79885/12 et 2 autres, CEDH 2017 (extraits). Er ist abrufbar unter http://hudoc.echr.coe.int/eng-press?i=003-5677503-7199880
- Résolution 2048 (2015), 22.4.2015, La discrimination à l’encontre des personnes transgenres en Europe (Ziff. 6.2 betrifft die Änderung des amtlichen Geschlechts und Vornamens). Von den Schweizer Mitgliedern der Parlamentarischen Versammlung stimmte niemand gegen diese Resolution. Sie ist abrufbar unter http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-FR.asp?fileid=21736&lang=FR
- Beispielsweise die sog. Vermächtnisstudie aus Deutschland erhob, dass 2-3% der Bevölkerung sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Von diesen wiederum identifizieren sich 60% weder (ausschliesslich) als weiblich noch (ausschliesslich) als männlich.