Sarah, eine 23-jährige Restauratorin, steht kurz vor dem Abschluss der Fachhochschule. In der Zeit zwischen den Abschlussprüfungen und einem erhofften Stellenantritt plant sie, geschlechtsangleichende Operationen vornehmen zu lassen. Damit sie in den Stellenbewerbungen gleiche Chancen hat wie ihre Schulkolleg_innen, will sie alle ihre Zeugnisse auf Sarah ändern lassen und auch amtlich als Frau anerkannt werden. Eigentlich wäre alles bestens geplant, so dass sie neben der Transition auch genug Zeit zum Lernen auf die Schlussprüfungen hätte. Da erhält sie einen verhängnisvollen Brief von ihrer Krankenkasse: Die Kosten für die Operation werden nicht übernommen, sie sei noch zu jung. Sarah versteht die Welt nicht mehr, lebt sie doch seit Jahren als Frau und hat auch eine psychiatrische Bestätigung eingereicht, dass die Operationen sehr wichtig seien für sie. Für Sarah bricht eine Welt zusammen. Wenn sie die Operation nicht vornehmen, wird das Gericht die Änderung von Name und amtlichem Geschlecht nicht genehmigen. Und ohne diese weigert sich die Fachhochschule, ihre Abschlusszeugnisse auf Sarah auszustellen. Ihr Lehrbetrieb war bereits vor drei Jahren einsichtiger und stellte ihr das Arbeitszeugnis auf ihren weiblichen Namen aus. Wie soll sie sich mit einem so uneinheitlichen Dossier je erfolgreich bewerben? Ganz zu schweigen davon, dass ohne die amtlichen Änderungen auch keine definitive Befreiung von den Ersatzzahlungen ans Militär möglich sein wird, sie keinen Pass hat, mit dem sie sich über die Grenze getraut, jeder eingeschriebene Brief, jeder Kontakt mit ihrem Telefonanbieter, der Versicherung, der Bank, usw. sehr intime Erklärungen erzwingt. Verzweifelt wendet sich Sarah an die Rechtsberatung von TGNS. Dort kennt man sowohl jedes einzelne Puzzlestück ihrer Geschichte als auch ähnliche Problemanhäufungen bestens: Die Rechtsberatung erhält jeden zweiten bis dritten Tag eine neue Anfrage – Tendenz steigend.
Zwang zur Sterilisation
Wie das Beispiel zeigt, ist die Änderung von Name und offiziellem Geschlecht enorm wichtig im Alltag von Transmenschen. Doch diese vom Gericht zu bekommen, ist oft sehr schwer. So werden Transmenschen heute in der Schweiz noch zu (sterilisierenden) Operationen und Hormontherapie gezwungen – obwohl dies nicht mit der Bundesverfassung vereinbar ist. Erst wenige Gerichte haben sich bisher von dieser menschenrechtswidrigen Praxis verabschiedet. Was das jeweilige Gerichtvon dem einzelnen Transmenschen aber verlangt, wieviel das Ganze kostet, wie lange es dauert, etc., all diese Fragen handhabt heute jedes Gericht, wie es gerade will. Dadurch sehen sich Transmenschen einer grossen Unsicherheit ausgesetzt. Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Argentinien. Dort ist das Recht auf die Anerkennung der eigenen Geschlechtsidentität gesetzlich klar geregelt. Für die rechtliche Anerkennung braucht es nur den Antrag der Person. Auch ein psychiatrisches Gutachten – und damit zwingend die Diagnose, psychisch gestört zu sein – verlangt Argentinien im Unterschied zur Schweiz nicht.
Willkür der Krankenkassen
Brauchen und wollen Transmenschen eine körperliche Angleichung, so müssen sie oft gegen die Krankenkasse ankämpfen. Das Bundesgericht hat zwar schon vor langem entschieden, dass alle notwendigen Angleichungsmassnahmen bezahlt werden müssen, jedoch erst ab 25 Jahren, nach zwei Jahren psychiatrischer Begleitung und nur in der Reihenfolge Psychiater, Hormone, Operationen, alles weitere wie z.B. Bart-Epilation. Auf der Basis von diesen 20 Jahre alten Urteilen weigern sich die Kassen auch heute noch vor allem bei unter 25-Jährigen, die Kosten zu übernehmen. Die medizinischen Behandlungsstandards hingegen empfehlen diese Altersgrenze längst nicht mehr. Genauso wie diese Standards keine psychiatrische Begleitung mehr vorschreiben. Für diese zwingenden zwei Jahre Psychiaterbesuch ist die Schweiz vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden. Die medizinischen Fachleute haben auch längst anerkannt, dass Transmenschen bestens selber wissen, wann sie welche Behandlung brauchen und in welcher Reihenfolge. Kurz: Die Krankenkassen sollten ihre Praxis dringend updaten statt regelmässig ohne stichhaltigen Grund Gesuche abzulehnen. Ein elementares Problem für Transmenschen ist überdies, dass die Grundversicherungen die Kosten für Operationen im Ausland nicht übernehmen. Denn insbesondere Genitaloperationen werden in der Schweiz so selten gemacht, dass die Chirurgen keine genügende Qualität anbieten können. Die Folgen davon sind nicht selten unzählige Korrektureingriffe, Verlust von Funktionalität bis hin zu Arbeitsunfähigkeit oder Suizid(gedanken). Dabei gäbe es im Ausland Spezialisten, die diese Operationen in guter Qualität anbieten, da sie die notwendige Routine haben.
«Nach der Operation stellen wir Sie wieder ein»
Mit dieser unverblümt transphoben Aussage erhielt ein Transmann die Entlassung von seinem Arbeitgeber. Immer wieder wenden sich Transmenschen an die Rechtsberatung von TGNS mit Problemen mit ihrem Arbeitgeber: Diskriminierende Kündigungen, Weigerung, das Arbeitszeugnis auf den neuen Namen auszustellen, Verbot, die Toilette entsprechend der Geschlechtsidentität zu benutzen, Weigerung, die Emailadresse etc. zu ändern – die Liste liesse sich noch deutlich verlängern. Obwohl das Recht, insbesondere auch das Gleichstellungsgesetz, Transmenschen schützt, erleben sie oft Diskriminierungen und psychische Verletzungen in der Arbeitswelt. Wer überhaupt eine Arbeitsstelle hat, ist in der Minderheit: In einer Studie zur Situation in der Schweiz gaben 20 % an, arbeitslos zu sein, und 40 % selbständigerwerbend.
Viele Probleme, die sich von Arbeitgebern stellen, treffen auch bereits Schüler_innen, die sich outen. Die Volksschule darf niemanden aufgrund der Geschlechtsidentität diskriminieren. Sind sie noch minderjährig, so ist die Schule verpflichtet, das Kindeswohl zu unterstützen. Dazu gehört auch die Anerkennung der Geschlechtsidentität des Kindes/ Jugendlichen. Und doch werden Trans-Schüler_innen von der Volksschule geschmissen, ihre Zeugnisse nicht angepasst, es wird ihnen verboten, entsprechend dem Geschlecht zu leben, in dem sie sich wohlfühlen, usw. Insbesondere das Verbot, das passende WC zu benutzen, kann massive gesundheitliche Schäden nach sich ziehen. Denn um den Gang auf die Toilette zu verhindern, hilft nur eins: weder essen noch trinken.
Back to no future?
Transmenschen, die in der Schweiz Asyl beantragen, weil sie aufgrund ihrer Geschlechtsidentität bedroht sind, können Asyl erhalten. Doch auch, wenn sie aus einem Land kommen, in dem regelmässig Transmenschen ermordet werden, wenn sie selbst bereits Opfer von Gewalt geworden sind oder in einer transphoben Gesellschaft leben, in der sie keine Chance haben, entsprechend ihrer Geschlechtsidentität leben zu können, kann sie die Kaltherzigkeit eines ablehnenden Entscheides treffen.
Trans Rechte jetzt – weil das Recht schon viel zu lange verletzt wird.
Autor: Alecs Recher
Quelle: Pride-Magazin der Züri-Pride 2014, S. 12-14
Der Artikel als PDF: Link