Mann oder Frau – ist doch Wurst

ESC-Siegerin Conchita Wurst sprengt süffisant Geschlechtergrenzen. Transmenschen hingegen werden noch immer diskriminiert.

von Corinne Rufli

Wurst ist wunderbar. Sie eignet sich hervorragend als Diskussionsplattform.Ein Katalysator für Geschlechterfragen. Die kühne Kunstfigur stiftet Verwirrung in unseren Köpfenund zwischen unseren Beinen. Und das ist gut so. Wer hat in den letzten Tagen nicht intensiv über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Geschlechter nachgedacht oder debattiert? Europaweit entsprang eine existenzielle Debatte über Sein, Schein und Nichtsein. Über Erwartungen an weibliche und männliche Körper. Über Ideale, Moral, Stereotypien und schliesslich über Identität.

Zwischen Conchita und Wurst eröffnen sich abgrundtiefe Fragen zu unseren Geschlechterverhältnissen. Was eigentlich ist ein Mann und was eine Frau? Wo sind die Grenzen meines Geschlechts? Bin ich das, was andere in mir sehen? Wer bin ich, wenn ich gar nicht so bin, wie ich sein sollte? Das sind Fragen, die sich alle stellen können, aber nur wenige stellen müssen.

Zum Beispiel Transmenschen. Also Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht dem Geschlecht entspricht, dem sie bei der Geburt zugeordnet wurden. Sie profitieren von diesen gegenwärtigen Diskussionen, denn dadurch entsteht zum einen eine Sensibilisierung dafür, wie variabel und reich Geschlecht und Geschlechtsausdruck sein kann, aber auch eine Sichtbarkeit von Menschen, die sich nur selten in den öffentlichen Diskurs einbringen können. «Transmenschen per se verunsichern die meisten anderen Leute, weil sie etwas, das man für gegeben hält, auf den Kopf stellen», sagt Henry Hohmann, Präsident von Transgender NetworkSwitzerland (TGNS). «Gerade in Krisenzeiten sind traditionelle Werte wie Familie, Ehe oder eben das Geschlecht eine der wenigen Konstanten. Klare Zuordnungen geben den Menschen vermeintliche Sicherheit.» Wenn diese auch nochhinterfragt werden, könne sich die Unsicherheit in Angst verwandeln, die Angst in Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber Transmenschen.

Weiter lesen: PDF des Artikels

Quelle: Schweiz am Sonntag, 18. Mai 2014